FAKE NEWS Original + Kopie + Fälschung + … SPRENGEL MUSEUM HANNOVER Sammlungspräsentation Raum E3 im Erweiterungsbau 20.02.–14.10.2018 FAKE NEWS – Einführung FAKE NEWS – das sind Nachrichten über Fälschungen, Unklarheiten und Zu- und Abschreibungen, Kopien und andere Formen der Anfertigung eines künstlerischen Werks, die Originale anderer Art sind. In jeder Sammlung gibt es solche Fälle und meistens werden sie in Depots der Sichtbarkeit entzogen. Im Zuge des Wunsches nach stärkerer Transparenz dessen, was in einem Museum hinter den Kulissen geschieht, werden hier erstmals fragliche Werke aus der Sammlung des Sprengel Museum Hannover präsentiert. Beispiele von künstlerischen Arbeiten, die auf verschiedene Wege ins Museum gelangt sind, zeigen wir in einer Art von Zwischenbilanz, um weitere Fragen und Forschung anzustoßen. Außer dem Netz von Experten aus Wissenschaft, Kunst, Restaurierung und Handel, das sich in diesen Werkgeschichten abzeichnet, aktualisiert die künstlerische Sicht in diesem Kabinett die Zusammenhänge. Dirk Dietrich Hennigs Projekte, hier das des Schwitters-Fälschers C.G. Rudolf, richten das Interesse auf die kuratorische und künstlerische Strategie, die das Thema Fälschung jenseits der Kriminalgeschichte und spektakularisierter Fälscherfiguren ebenso humorvoll wie seriös vor Augen führen. Im Untertitel Original + Fälschung + Kopie + … wird auf den Titel der legendären Ausstellung Original + Fälschung von Sigmar Polke im Westfälischen Kunstverein 1973 angespielt, bei dem der deutsche Popkünstler Bilder und selbst hergestellte Fälschungen, beziehungsweise, Kommentarbilder einander zuordnete. Die Strategie der Fälschung der eigenen Werke zieht sich durch die Kunstgeschichte, von den Kopien alter Meister über Künstler, die für die Aberkennung und Umdatierung ihrer Werke bekannt sind, über berühmte Fälscher wie den von Orson Welles in seinem Film F for Fake verewigten Elmyr de Hory, über erfundene Künstlerpersönlichkeiten und Pseudonyme zu heutigen Zu- und Abschreibungen von anerkannten Werken durch WisenschaftlerInnen. Die fraglichen Fälle in der Sammlung des Sprengel Museum Hannover bleiben brisant, zum Teil mögen technische Analysen Klärung bringen, zum Teil werden Stilfragen weiter erörtert werden. Solange bleibt uns die Initiative zu weiteren Dialogen und die Frage nach dem (Mehr)Wert der Fälschung. Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019 FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / Sammlungspräsentation, Raum E3 im Erweiterungsbau, © Photo: Seth Widman, 2019 Ein Original von Oskar Kokoschka oder eine Fälschung zu Lebzeiten? Blick auf die Jungfrau von Mürren aus, um 1912 Unmittelbar nach dem Ankauf der Oskar Kokoschka zugeschriebenen Landschaftsdarstellung für die Städtische Galerie im Jahr 1949 hatte man sich um die Klärung ihrer Provenienz bemüht. Das Pastell war mit einem größeren Konvolut moderner Kunst von dem Berliner Immobilienhändler und promovierten Juristen Conrad Doebbeke in Federführung des damaligen Leiters der Landesgalerie, Ferdinand Stuttmann, mit Mitteln der Stadt Hannover erworben worden. Als Blick auf die Jungfrau, 1908 datiert, wurde es seit 1950 in den Bestandsverzeichnissen des Landesmuseums publiziert. Durch kunsthistorische Forschungen änderten sich in den nachfolgenden Jahren sowohl der Titel als auch die Datierung. In den derzeit mit Kokoschka aufgenommenen Korrespondenzen stritten allerdings sowohl er als auch die ehemals in der Galerie Paul Cassirer beschäftigte Grete Ring die Urheberschaft des Werkes kategorisch ab mit der Begründung, der Künstler habe weder in der verwendeten Technik gearbeitet noch in dieser Weise signiert. Dieser Argumentation stand die historische Quellenlage entgegen. Doebbeke selbst hatte angegeben, Kokoschkas »Jungfrau in der Schweiz« gemeinsam mit einem ebenso zu dem städtischen Ankauf zählenden prominenten Gemälde Edvard Munchs von dem Rechtsanwalt Alfred Esche in Leipzig während des Zweiten Weltkriegs erworben zu haben. Das Pastell ist zudem durch historische Publikationen wie dem ersten von Paul Westheim 1918 herausgegebenen Werkverzeichnis als auch dem Katalog zur Ausstellung Moderne Kunst aus Privatbesitz 1922 im Kunstverein Leipzig dokumentiert. Dessen damaliger Leiter Werner Teupser bestätigte, die benannten Werke Mitte der 1920er Jahre in der Leipziger Wohnung des Rechtsanwalts gesehen zu haben. Die Bildrechte reklamierte die Galerie Cassirer für sich. Die ersten Forschungen hatten zwar Erkenntnisse zur Herkunft und zu vormaligen Eigentumswechseln aus dem Umfeld des Strumpffabrikanten Herbert Eugen Esche aus Chemnitz ans Licht gebracht, ein geschlossenes Bild über die Entstehung und den Verbleib der Darstellung konnte in jenen Jahren noch nicht erfolgen. In den Jahren des sogenannten »Eisernen Vorhangs« waren die aufgenommenen Kontakte wieder abgebrochen. Erst neuere Forschungen, auch ausgelöst durch den Fall der Mauer, konnten die Kenntnisse über den früheren Sammler vervollständigen. Durch im Auktionshandel 2002 angebotene monogrammierte Besteckteile, gefertigt von dem Künstler Henry van de Velde, unter anderem Architekt der 1902 für Herbert Esche in Chemnitz erbauten Villa, ließ sich der ursprüngliche Kontext der Entstehung und Auflösung seiner Sammlung moderner Kunst als auch zu seinem in Vergessenheit geratenen Bruder in Leipzig wiederherstellen. Alfred Esche war bei den Luftangriffen auf Leipzig im Februar 1945 ums Leben gekommen. Die Provenienzgeschichte des 1906 entstandenen Munch-Gemäldes Dorfstraße in Elgersburg, ebenfalls heute in der Sammlung des Sprengel Museum Hannover, das Herbert Esche seinem Bruder zu Weihnachten geschenkt hatte, spielte bei der Spurensuche eine aufschlußreiche Rolle. Während eine unter Druck des nationalsozialistischen Regimes erfolgte Veräußerung der Kunstwerke auszuschließen ist, bleibt die Frage der künstlerischen Urheberschaft an dem Pastell bislang ungeklärt. Handelte es sich tatsächlich um eine Fälschung, muss sie zu Lebzeiten Kokoschkas vor 1918 entstanden sein, ohne dass dies unter den Zeitgenossen in Augenschein genommen worden wäre. In das 1995 erschienene Werkverzeichnis der Gemälde noch aufgenommen (Wingler/Erling, Nr. 86), wurde die Aufnahme des Pastells in den bei der Fondation Oskar Kokoschka 2017 neu überarbeiteten, online zugänglichen Werkkatalog der Gemälde aus stilistischen Gründen abgelehnt. Annette Baumann, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019 Links: Fälschung (?) Oskar Kokoschka / Pöchlarn 1886-1980 Montreux / Blick auf die Jungfrau von Mürren aus, 1912 / Mischtechnik auf Leinwand / Sprengel Museum Hannover Rechts: Oskar Kokoschka / Pöchlarn 1886-1980 Montreux / Delphi, 1956 / Öl auf Leinwand / Sprengel Museum Hannover, Leihgabe Niedersächsisches Landesmuseum Hannover © Photo: Seth Widman, 2019 Eine Fälschung zu Lebzeiten Alberto Giacomettis In der Bildakte der Figurine (nicht datiert, circa 1960–61), die als Skulptur von Alberto Giacometti bereits 1966 in die Sammlung Sprengel kam, finden sich Kopien der Korrespondenz des Sammlers mit der Witwe des Künstlers, Annette Giacometti. Sie erhob bereits 1971 Zweifel an der Echtheit der Skulptur, die von der Geliebten Giacomettis Caroline über den Händler Pludwinski-Dorian in Rom nach Deutschland gelangt sein sollte. Der Schriftwechsel endet 1972 mit der Bitte, die Skulptur zum Vergleich nach Paris zu senden; der Sammler wollte das Risiko, die Statue nach Paris zu senden, nicht eingehen. Der Fall blieb lange ungeklärt, was unter anderem mit der unklaren Lage der Fondation Annette et Alberto Giacometti nach dem Tod von Annette 1993 zu tun hatte, die sich erst 2003 beruhigte und 2004 ein Committee einsetzte, das fortan für die Authentifizierung der Werke verantwortlich zeichnete. Die Provenienz des Gusses, die mit Daniel Pludwinski-Dorian angegeben wird, hätte aufhören lassen können: es handelt sich um einen polnisch-italienischen Händler, der durch den regen Handel mit Fälschungen auch von Mirò und Dalí in die Schlagzeilen als »il pennello imbrogiglione« (in etwa: der große Betrügerpinsel) geriet. Tatsächlich waren Giacometti-Skulpturen aus dem Atelier von damaligen Assistenten entwendet – von Stampa im Engadin nach Italien war der Weg nicht weit – in Italien abgeformt und neu gegossen worden. Die Gussnummer der Figurine in Hannover, die als Nr. 5 von 6 Exemplaren bezeichnet ist, ist der Fondation nicht bekannt. Zudem weist die dickere und weniger spitz ausgeformte Materialität der Bronzeskulptur auf die Abformung hin. Durch Kontakt mit Mitgliedern des Committees im letzten Jahr gelang es, die Fälschung als eine Surmoulage, das heisst, einen Abguss nach einer Abformung vom Original, zu identifizieren. Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019 Fälschung / Alberto Giacometti / Borgonovo 1901-1966 Chur / Figurine, 1960/61 / Surmoulage nicht als Werk von Giacometti anerkannt / Bronze / Sprengel Museum Hannover, © Photo: Seth Widman, 2019 Ein Frauenbildnis aus dem Umkreis Amedeo Modiglianis Der Frauenkopf, 1917? war bereits als fragliches Werk aus der Landesgalerie 1979 in die Sammlung des Sprengel Museum Hannover übernommen worden und hängt seitdem im Depot. Es gibt keinerlei Unterlagen zu den Gründen dieser Abschreibung und zur Herkunft des Bildes, das mit dem Konvolut, das 1949 von dem Immobilienhändler und Juristen Conrad Doebbeke von der Stadt Hannover durch den damaligen Direktor, Ferdinand Stuttmann, erworben wurde (vergleiche den Text zu Oskar Kokoschka). Modigliani, unrühmlich als einer der meist gefälschten Künstler aller Zeiten tituliert, wurde bereits von dem berüchtigten, in Orson Welles’ Film F for Fake verewigten Fälscher Elmyr de Hory in den 1950er–1970er Jahren gefälscht. (Inzwischen werden de Horys Fälschungen, die bereits hohe Preise erzielen, gefälscht.) Legendär waren die drei falschen Steinköpfe, die Studenten in Livorno 1984 in den Fluss geworfen hatten, nachdem eine Woche zuvor die Suche nach Skulpturen von Modigliani, die dieser der Legende nach aus Frust versenkt hatte, ausgerufen worden war. Ein anderer falscher Modigliani tauchte zu Beginn der 2000er Jahre in Frankreich auf; eine kriminelle Bande bot ihn als Original an; die Polizei kam ihr dadurch auf die Spur, dass die rivalisierende Bande ihn mit gefälschten Banknoten bezahlen wollte. Nicht einfacher ist die Situation durch drei parallel existierende Werkverzeichnisse, darunter eines von Christian Parisot, der selber bereits für die Authentifizierung von Fälschungen vor Gericht stand. Modiglianis Werke erzielen Spitzenpreise, so wurden 2015 170,4 Mio $ bei Christie’s in New York von einem chinesischen Sammler für den Nu Couché (Liegender Akt) gezahlt; der rasante Anstieg hatte 2010 begonnen, als bei Christie’s in Paris eine Modigliani-Skulptur, die auf 5–7 Mio $ geschätzt war, für 52 Mio $ verkauft wurde. Im letzten Sommer wurde eine Modigliani-Ausstellung in Genua drei Tage vor ihrem Ende geschlossen, nachdem diese von mehr als 100.000 Besuchern gesehen worden war, da Experten darauf hinwiesen, dass von 30 ausgestellten Werken 21 falsch waren. Gerade hat ein neues Expertenkommittee begonnen, die Werke Modiglianis in französischen Museumssammlungen neu zu begutachten. Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019 Links: Fälschung / Amedeo Modigliano (Umkreis) / Livorno 1884-1920 Paris / Frauenkopf, 1917? / Öl auf Leinwand / Spregel Museum Hannover Rechts: Fälschung / Óskar Domínguez / San Cristóbal de La Laguna 1906-1958 Paris / Giorgio de Chirico / Volos 1888-1978 Rom / Interiore metafisico con la Piazza d'Italia, 1917? / Öl auf Leinwand / Sprengel Museum Hannover, Leihgabe Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, © Photo: Seth Widman, 2019 Der Krimi um Giorgio de Chirico Der spanische Maler Giorgio de Chirico (1888–1978) gehört zu den meist gefälschten Künstlern des 20. Jahr-hunderts. Besonders beliebt waren dabei seine Bilder aus der Werkphase der Metaphysischen Malerei, mit der er die Entwicklung des Surrealismus maßgeblich beeinflusst hatte. Das Gemälde Interiore metafisico con la Piazza d’Italia, datiert auf 1917, ist mittlerweile als Fälschung entlarvt worden. Der Kunsthistoriker Dr. Wieland Schmied, der das Bild 1970 noch selbst in der Orangerie Herrenhausen ausstellte, räumte in einer Publikation aus dem Jahre 1989 ein, dass er damit unwissentlich und unbeabsichtigt eine Fälschung als echten de Chirico präsentiert hatte. Recherchen und Expertisen bestätigten, dass es sich um eine Fälschung handeln muss – zugeschrieben wird sie dem surrealistischen Maler Óscar Domínguez (1906–1958). Insgesamt sind heute 32 gefälschte de Chiricos von Domínguez dokumentiert; drei davon befinden sich in deutschen Museums-sammlungen; alle drei wurden Mitte der 1950er Jahre über den Kölner Galeristen Dr. Werner Rusche (gest. 1978) vertrieben, der wiederum als Provenienz eine Frau Simone Bréton-Corbellini angab. Doch diese Person gab es nicht, es handelt sich dabei wahrscheinlich um Simone Bréton-Collinet, die erste Frau des Surrealisten André Breton. Über die jeweilige Mitschuld der beteiligten Personen am Verkauf der Fälschungen lässt sich nur spekulieren – dass es überhaupt möglich war, so viele gefälschte Werke des bedeutenden Künstlers de Chirico im Umlauf zu bringen, liegt unter anderem an der Eigenart des Meisters selbst: mit seiner Abkehr von der Metaphysischen Malerei und der gesamten Avantgardekunst ab ca. 1930 hatte er die junge Generation der Surrealisten, zu denen Bréton und Domínguez gehörten, gegen sich aufgebracht. Zudem kopierte de Chirico seine metaphysischen Sujets selbst und datierte sie teilweise um Jahrzehnte zurück, da sie sich besser ver-kauften als seine späteren, naturalistischen Arbeiten. Auch sind Fälle bekannt, in denen der exzentrische Maler seine eigenen Bilder als Fälschungen deklarierte, andererseits Fälschungen wiederum nicht erkannte. Dieses Verhalten sorgte für Unsicherheiten und Schwierigkeiten in der Bestimmung seiner Originale und spielte den Fälschern in die Hand. Auf jeden Fall wurden alle 20 Gemälde, die 1946 in der Galerie Allard in Paris ausgestellt waren, unter denen sich auch das Gemälde im Sprengel Museum Hannover befand, als falsche de Chiricos entlarvt und es wird behauptet, dass Oscar Domínguez diese Fälschungen unter Mitwissenschaft von Paul Eluard und André Breton produziert hatte. Auf einem publizierten Foto von 1940 von Eluards Wohnung in der der Rue de la Chapelle, ist an der Wand ein von Domínguez gemaltes Bild ›à la de Chirico‹ zu sehen. Da Eluard selbst mehr als 30 echte de Chiricos besaß, wußte er zumindest von diesem Täuschungsmanöver, wenn er es nicht aus freudiger Rache an dem abtrünnigen Surrealisten mit beförderte. Ob dieses Manöver auch eines war, das deutsche Sammler bewußt täuschen sollte, und die Gemälde gerade deshalb in den Sammlungen deutscher Museen landeten, ist noch ungeklärt. Patricia Hartmann / Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019 Ein gefälschtes Stillleben von Max Beckmann Max Beckmann hat eine unverwechselbare künstlerische Handschrift – charakterisiert durch eine starke Farbigkeit, kräftige schwarze Konturen und den besonderen Aufbau seiner Bildräume. Für Fälscher scheint dies eine einfache Formel zu sein, um die Werken des berühmten Expressionisten nachzuahmen. Das hier gezeigte Stillleben Blaue Tulpen in Vase Flasche und Glas, datiert auf 1935, wurde im Jahre 2005 zur fachmännischen Begutachtung zu einem im Max Beckmann Archiv in München veranstaltetem »Symposium zur Problematik von Fälschungen und Kopien von Aquarellen von Max Beckmann« geschickt. Dort anwesend waren verschiedene Experten für Beckmanns Werk, Kunsthistoriker und Restauratoren, unter ihnen Beckmanns Enkelin Mayen Beckmann. Sie alle kamen zu dem Ergebnis, dass es sich bei diesem Aquarell um eine Fälschung handelt. Als Merkmale, die für dieses Urteil entscheidend waren, wurden u. a. das Fehlen einer für Beckmann typischen Unterzeichnung in Bleistift und Kohle, der »unentschlossene« Umgang mit den schwarzen Konturlinien,die mangelnde Räumlichkeit und die »schmuddelige« Farbigkeit genannt. Weiterhin wurde der Duktus der Signatur als für Beckmann untypisch charakterisiert. Eine chemische Analyse, so wurde festgestellt, würde nicht weiterhelfen, da sich die im Handel befindlichen Aquarellfarben zwischen den 1930er und 1960er Jahren kaum verändert haben. Ein weiteres Indiz für die Fälschung ist die vor den 1960er Jahren mangelnde Provenienz – das Blatt tauchte vor dieser Zeit in keiner Ausstellung auf, noch wurde es bei Beckmanns Kunsthändlern Günter Franke, Karl Buchholz, Curt Valentin oder Catherine Viviano angeboten. Im Vergleich mit einem Originalgemälde von Beckmann, Stillleben mit schiefer Schnapsflasche und Buddha von 1939, also nicht viel später datiert ist als die Fälschung, lässt sich erkennen, wie nah der unbekannte Fälscher dem Künstler kommt. Patricia Hartmann, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019 Links: Fälschung / Max Beckmann / Leipzig 1884-1950 New York / Blaue Tulpen in Vase, Flasche und Glas, 1935 / Aquarell und Gouache auf Aquarellkarton / Sprengel Museum Hannover Rechts: Max Beckmann / Leipzig 1884-1950 New York / Stilleben mit schiefer Schnapsflasche und Buddha, 1939 / Öl auf Leinwand / Sprengel Museum Hannover / © Photo: Seth Widman, 2019 Zwei Blätter von Wols: Schlechte Qualität oder Fälschung? Für die beiden Aquarelle Branches und Souvenir Confus liegen zwei Expertisen vor, die nicht übereinstimmen. Eines der beiden besagt, dass es sich »zweifelsfrei« um gefälschte Arbeiten handelt und zu einer ganzen Gruppe von Fälschungen gehört, die ab 1959 erstmals in einer Brüsseler Galerie aufgetaucht sind, mit der Wols’ Witwe Gréty vertraglich verbunden war. Als ein Indiz gilt dem Experten die Führung der Linien: Da Wols immer mit aufgestützter Hand gearbeitet hat, erkenne man Fälschungen an ihrem vibrierenden Strich, der fälschlicherweise aus freier Hand entsteht. Die zweite Expertise hält es durchaus für möglich, dass die Werke gefälscht worden sind, doch möchte er sich darauf aufgrund fehlender eindeutiger Beweise nicht festlegen. Gréty Wols soll erklärt haben, dass ihr verstorbener Mann die Arbeiten im Frühjahr 1951 angefertigt hatte, als er aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustandes sehr geschwächt war (er verstarb wenige Monate später). Dies könnte ein Grund für die »schlechte Qualität« sein, die eben auch an vielen gesicherten Originalgraphiken von Wols aus dem Jahr erkennbar sein soll – was die Unterscheidbarkeit zwischen Original und Fälschung umso schwerer macht. Anhand der beiden »echten« Aquarelle von Wols, die auf die exakt gleichen Jahre datiert sind wie die fragwürdigen Arbeiten, lassen sich Unterschiede in der Strichführung ausmachen. Patricia Hartmann, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019 Oben links: Wols / Berlin 1913-1951 Paris / Ville fantôme, 1951 / Aquarell und Gouache auf Büten / Sprengel Museum Hannover, Leihgabe Niedersächsisches Landesmuseum Hannover Oben rechts: Wols / Berlin 1913-1951 Paris / La ville endormie, um 1945/46 / Tuschfeder, Aquarell, Deckweiß und Graphit auf Büten / Sprrengel Museum Hannover Unten links: Fälschung(?) Wols(?) / Berlin 1913-1951 Paris / Branches, 1946/47 / Tuschfeder und Aquarell auf Büten / Sprengel Museum Hannover Unten rechts: Fälschung(?) Wols(?) / Berlin 1913-1951 Paris / Souvenir confus, 1951 / Aquarell, Feder auf Büten / Sprengel Museum Hannover © Photo: Seth Widman, 2019 Dirk Dietrich Hennig Projekt: C.G.Rudolf (1922–2012) Werke: Kurt Schwitters, diverse Das aktuelle Projekt des Künstlers Dirk Dietrich Hennig ist das Leben von Carl Gerhardt Rudolf. Rudolf, der von 1922 bis 2012 lebte, war wohl ein Historiker, der als Hochschullehrer im Dienst der Staatssicherheit der DDR tätig war. Darauf weist die Aktenlage der Behörden, die allerdings durch die Vernichtung vieler Akten lückenhaft ist. Überliefert sind verschiedene Protokolle von Kontaktaufnahmen mit dem Inoffiziellen Mitarbeiter (IM Rembrandt) sowie Kunstwerke, die Rudolf scheinbar unter Druck für den Staat zur Beschaffung von Devisen anfertigte. Davon sind mehrere Skulpturen und Gemälde wie die drei präsentierten Werke nach Kurt Schwitters erhalten. Als Vorlagen standen dem Autodidakten nur begrenzte, oft einansichtige Reproduktionen zur Verfügung: so zeigt die Plastik Vertikal, 1923/2016 auffällige Abweichungen, erkennbar im Vergleich mit der im Sprengel Museum Hannover vorhandenen Originalplastik von Kurt Schwitters. Die Spuren von Rudolf verlieren sich in Venedig. Da er sich das Leben dort offenbar leisten konnte, liegt die Vermutung nahe, dass er nach dem Fall der Mauer frühere Produktionen veräußern und so seinen Unterhalt sichern konnte. Rudolf beschäftigte sich auch theoretisch mit der Frage nach der Aura des Kunstwerks, wie sie Walter Benjamin beschrieb. Für ihn selbst entstand die Aura zwischen Werk und Betrachter, in der Projektion des Sehenden und dem Wunsch nach religiöser Erfüllung im authentischen Kunsterlebnis. Diese Beschreibung von Rudolf ist reine Erfindung des Künstlers Dirk Dietrich Hennig, der uns mit seinen Alter Egos und ihren jeweiligen detaillierten, zeitgemäßen Historien in einen Strudel von Indizien, Täuschungen und originellen Fälschungen zieht. In dieser Uneindeutigkeit ist deutlich, was Hennigs Werk tut: es weist auf die stets ambivalente Geschichte eines jeden Kunstwerks, auf die irrationale Verklärung des Meisterwerks, auf die fragliche Intention der Urheber. Durch die Brille seiner erfundenen Künstler transportiert er genauso viel Wissen, wie er es verunklärt. Die Erfindung des Fälschers lässt die Frage nach dem Autor in die Leere laufen und begründet eine Reflexion über Geschichte als kritische Masse. Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019 Links: Dirk Dietrich Hennig / Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt Schwitters, Vertikal, 1923/2016 / Holz, Farbe / Leihgabe des Künstlers Mitte: Dirk Dietrich Hennig Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt Schwitters, Weißes Relief, 1924,1927/2016 / Montage, Holz, farbe / Leihgabe des Künstlers Rechts: Dirk Dietrich Hennig / Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt Schwitters, Merz 1926, Cicero 1926/2016 / Holz, Farbe / Leihgabe des Künstlers © Photo: Seth Widman, 2019 Links: Kurt Schwitters / Hannover 1887-1948 Kendal / Plastik [ehemals: Ohne Titel (Vertikal)], 1923 / Holz, genagelt und monochrom gefasst / Sprengel Museum Hannover, Sammlung NORD/LB in der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Leihgabe seit 1994 Mitte links: Dirk Dietrich Hennig / 1967 Herford / Projekt: Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt Schwitters, Weißes Relief, 1924,1927/2016 / Montage, Holz, farbig gefasst / Leihgabe des Künstlers Mitte rechts: Dirk Dietrich Hennig / 1967 Herford / Projekt: Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt Schwitters, Merz 1926, Cicero 1926/2016 / Holz, Ölfarbe / Leihgabe des Künstlers Rechts: Dirk Dietrich Hennig / 1967 Herford / Projekt: Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt Schwitters, Vertikal, 1923/2016 / Holz,genagelt und monochrom gefasst / Leihgabe des Künstlers Rechts aussen Vitrineninhalt: Dirk Dietrich Hennig / 1967 Herford / Projekt: Carl Gerhardt Rudolf / BStU Einlieferungsanzeige Carl Gerhardt Rudolf, polizeiliches Erfassungsfoto und Stasibericht © Photo: Seth Widman, 2019 Weiterführende Literatur - Hubertus Butin, Kunstfälschung - Das betrügliche Objekt der Begierde, Suhrkamp 2020 - Guillaume Bijl. Ausst.-Kat. Museum van Hedendaagse Kunst, Antwerpen u. a. 1996 - Karl Corino (Hg.), Gefälscht! Betrug in Politik, Literatur, Wissenschaft, Kunst und Musik (1988). Reinbek: Rowohlt 1992 - Hans Delfs, Kokoschkas Selbstbildnisse aus dem Jahr 1923. Eine Bildmonografie – und Detektivgeschichte. Mit einem Vorwort von Klaus Gallwitz. Dresden: Sandstein 2015 - Hans und Oskar Kokoschka: Hugh Kenner, Von Pope zu Pop. Kunst im Zeitalter von Xerox (1968). Dresden, Basel: Verlag der Kunst 1995 - Anne-Kathrin Reulecke (Hg.), Fälschungen. Zu Autorschaft und Beweis in Wissenschaft und Künsten. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006 - Stefan Römer, Künstlerische Strategien des Fake. Kritik von Original und Fälschung. Köln: DuMont 2001 - Sabine Maria Schmidt, Moderne, reloaded: Interviews mit Künstlern. Dirk Dietrich Hennig. Geschichtsinterventionen. Kunstforum International, Bd. 252, (2018), Thema: Moderne, Reloaded, S. 164ff. - Hillel Schwartz, The Culture of the Copy. Striking Likenesses, Unreasonables Facsimiles. New York: Zone 1996 - Ludwig Seyfarth und Oliver Zybok (Hg.), Kunstforum International, Bd. 213, (2011), Thema: Ironie Sturtevant. Ausst.-Kat. Württembergischer Kunstverein Stuttgart u. a.. München, Stuttgart: Oktagon 1992 Film Orson Welles, F for Fake (F wie Fälschung), 1974 – Filmessay zu Fälschungen ausgehend von der Vita des berühmten Fälschers Elmyr de Hory, der sich in dem Film selber spielt Museum Fälschermuseum, Löwengasse 28, A-1030 WIEN, faelschermuseum.com Pressespiegel: Fälschungen im Museum "Das passiert jedem mal 27.02.2018 Stefan Koldehoff im Gespräch mit Karin Fischer Deutschlandfunk / PDF Gefälschte Kunstwerke: Dieses Museum zeigt gefälschte Bilder 13.04.2018 Emilie Buri SRF / PDF Sprengel Museum präsentiert "FAKE NEWS" aus eigener Sammlung 22.02.2018 dpa / PDF Ist das echt? Fake News im Sprengel 22.02.2018 NDR / PDF Die Originalität der Fälschung 20.02.2018 Daniel Alexander Schacht HAZ / PDF "Fake News" im Sprengel Museum 20.02.2018 Henning Queren NP / PDF "Fake News" aus der eigenen Sammlung 23.02.2018 DEWEZET / PDF Download Ausstellungsbrochure © dirkdietrichhennig.com 2022