FAKE NEWS
Original + Kopie + Fälschung + …
SPRENGEL MUSEUM HANNOVER
Sammlungspräsentation
Raum E3 im Erweiterungsbau
20.02.–14.10.2018
FAKE NEWS – Einführung
FAKE NEWS – das sind Nachrichten über Fälschungen, Unklarheiten und
Zu- und Abschreibungen, Kopien und andere Formen der Anfertigung
eines künstlerischen Werks, die Originale anderer Art sind. In jeder
Sammlung gibt es solche Fälle und meistens werden sie in Depots der
Sichtbarkeit entzogen. Im Zuge des Wunsches nach stärkerer
Transparenz dessen, was in einem Museum hinter den Kulissen
geschieht, werden hier erstmals fragliche Werke aus der Sammlung des
Sprengel Museum Hannover präsentiert. Beispiele von künstlerischen
Arbeiten, die auf verschiedene Wege ins Museum gelangt sind, zeigen
wir in einer Art von Zwischenbilanz, um weitere Fragen und Forschung
anzustoßen. Außer dem Netz von Experten aus Wissenschaft, Kunst,
Restaurierung und Handel, das sich in diesen Werkgeschichten
abzeichnet, aktualisiert die künstlerische Sicht in diesem Kabinett die
Zusammenhänge. Dirk Dietrich Hennigs Projekte, hier das des
Schwitters-Fälschers C.G. Rudolf, richten das Interesse auf die
kuratorische und künstlerische Strategie, die das Thema Fälschung
jenseits der Kriminalgeschichte und spektakularisierter Fälscherfiguren
ebenso humorvoll wie seriös vor Augen führen.
Im Untertitel Original + Fälschung + Kopie + … wird auf den Titel der
legendären Ausstellung Original + Fälschung von Sigmar Polke im
Westfälischen Kunstverein 1973 angespielt, bei dem der deutsche
Popkünstler Bilder und selbst hergestellte Fälschungen,
beziehungsweise, Kommentarbilder einander zuordnete. Die Strategie
der Fälschung der eigenen Werke zieht sich durch die Kunstgeschichte,
von den Kopien alter Meister über Künstler, die für die Aberkennung und
Umdatierung ihrer Werke bekannt sind, über berühmte Fälscher wie den
von Orson Welles in seinem Film F for Fake verewigten Elmyr de Hory,
über erfundene Künstlerpersönlichkeiten und Pseudonyme zu heutigen
Zu- und Abschreibungen von anerkannten Werken durch
WisenschaftlerInnen. Die fraglichen Fälle in der Sammlung des Sprengel
Museum Hannover bleiben brisant, zum Teil mögen technische Analysen
Klärung bringen, zum Teil werden Stilfragen weiter erörtert werden.
Solange bleibt uns die Initiative zu weiteren Dialogen und die Frage nach
dem (Mehr)Wert der Fälschung.
Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie
+ Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019
FAKE NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum
Hannover / Sammlungspräsentation, Raum E3 im Erweiterungsbau, ©
Photo: Seth Widman, 2019
Ein Original von Oskar Kokoschka oder eine Fälschung zu
Lebzeiten?
Blick auf die Jungfrau von Mürren aus, um 1912 Unmittelbar nach dem
Ankauf der Oskar Kokoschka zugeschriebenen Landschaftsdarstellung
für die Städtische Galerie im Jahr 1949 hatte man sich um die Klärung
ihrer Provenienz bemüht. Das Pastell war mit einem größeren Konvolut
moderner Kunst von dem Berliner Immobilienhändler und promovierten
Juristen Conrad Doebbeke in Federführung des damaligen Leiters der
Landesgalerie, Ferdinand Stuttmann, mit Mitteln der Stadt Hannover
erworben worden. Als Blick auf die Jungfrau, 1908 datiert, wurde es seit
1950 in den Bestandsverzeichnissen des Landesmuseums publiziert.
Durch kunsthistorische Forschungen änderten sich in den nachfolgenden
Jahren sowohl der Titel als auch die Datierung. In den derzeit mit
Kokoschka aufgenommenen Korrespondenzen stritten allerdings sowohl
er als auch die ehemals in der Galerie Paul Cassirer beschäftigte Grete
Ring die Urheberschaft des Werkes kategorisch ab mit der Begründung,
der Künstler habe weder in der verwendeten Technik gearbeitet noch in
dieser Weise signiert. Dieser Argumentation stand die historische
Quellenlage entgegen. Doebbeke selbst hatte angegeben, Kokoschkas
»Jungfrau in der Schweiz« gemeinsam mit einem ebenso zu dem
städtischen Ankauf zählenden prominenten Gemälde Edvard Munchs von
dem Rechtsanwalt Alfred Esche in Leipzig während des Zweiten
Weltkriegs erworben zu haben. Das Pastell ist zudem durch historische
Publikationen wie dem ersten von Paul Westheim 1918
herausgegebenen Werkverzeichnis als auch dem Katalog zur Ausstellung
Moderne Kunst aus Privatbesitz 1922 im Kunstverein Leipzig
dokumentiert. Dessen damaliger Leiter Werner Teupser bestätigte, die
benannten Werke Mitte der 1920er Jahre in der Leipziger Wohnung des
Rechtsanwalts gesehen zu haben. Die Bildrechte reklamierte die Galerie
Cassirer für sich. Die ersten Forschungen hatten zwar Erkenntnisse zur
Herkunft und zu vormaligen Eigentumswechseln aus dem Umfeld des
Strumpffabrikanten Herbert Eugen Esche aus Chemnitz ans Licht
gebracht, ein geschlossenes Bild über die Entstehung und den Verbleib
der Darstellung konnte in jenen Jahren noch nicht erfolgen. In den Jahren
des sogenannten »Eisernen Vorhangs« waren die aufgenommenen
Kontakte wieder abgebrochen.
Fälschung (?) Oskar Kokoschka / Pöchlarn 1886-1980 Montreux / Blick
auf die Jungfrau von Mürren aus, 1912 / Mischtechnik auf Leinwand /
Sprengel Museum Hannover
Erst neuere Forschungen, auch ausgelöst durch den Fall der Mauer,
konnten die Kenntnisse über den früheren Sammler vervollständigen.
Durch im Auktionshandel 2002 angebotene
monogrammierte Besteckteile, gefertigt von dem Künstler Henry van de
Velde, unter anderem Architekt der 1902 für Herbert Esche in Chemnitz
erbauten Villa, ließ sich der ursprüngliche Kontext der Entstehung und
Auflösung seiner Sammlung moderner Kunst als auch zu seinem in
Vergessenheit geratenen Bruder in Leipzig wiederherstellen. Alfred Esche
war bei den Luftangriffen auf Leipzig im Februar 1945 ums Leben
gekommen. Die Provenienzgeschichte des 1906 entstandenen Munch-
Gemäldes Dorfstraße in Elgersburg, ebenfalls heute in der Sammlung
des Sprengel Museum Hannover, das Herbert Esche seinem Bruder zu
Weihnachten geschenkt hatte, spielte bei der Spurensuche eine
aufschlußreiche Rolle. Während eine unter Druck des
nationalsozialistischen Regimes erfolgte Veräußerung der Kunstwerke
auszuschließen ist, bleibt die Frage der künstlerischen Urheberschaft an
dem Pastell bislang ungeklärt. Handelte es sich tatsächlich um eine
Fälschung, muss sie zu Lebzeiten Kokoschkas vor 1918 entstanden sein,
ohne dass dies unter den Zeitgenossen in Augenschein genommen
worden wäre. In das 1995 erschienene Werkverzeichnis der Gemälde
noch aufgenommen (Wingler/Erling, Nr. 86), wurde die Aufnahme des
Pastells in den bei der Fondation Oskar Kokoschka 2017 neu
überarbeiteten, online zugänglichen Werkkatalog der Gemälde aus
stilistischen Gründen abgelehnt.
Oskar Kokoschka / Pöchlarn 1886-1980 Montreux / Delphi, 1956 / Öl auf
Leinwand / Sprengel Museum Hannover, Leihgabe Niedersächsisches
Landesmuseum Hannover
© Photo: Seth Widman, 2019
Annette Baumann, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original +
Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019
Eine Fälschung zu Lebzeiten Alberto Giacomettis
In der Bildakte der Figurine (nicht datiert, circa 1960–61), die als Skulptur
von Alberto Giacometti bereits 1966 in die Sammlung Sprengel kam,
finden sich Kopien der Korrespondenz des Sammlers mit der Witwe des
Künstlers, Annette Giacometti. Sie erhob bereits 1971 Zweifel an der
Echtheit der Skulptur, die von der Geliebten Giacomettis Caroline über
den Händler Pludwinski-Dorian in Rom nach Deutschland gelangt sein
sollte. Der Schriftwechsel endet 1972 mit der Bitte, die Skulptur zum
Vergleich nach Paris zu senden; der Sammler wollte das Risiko, die
Statue nach Paris zu senden, nicht eingehen. Der Fall blieb lange
ungeklärt, was unter anderem mit der unklaren Lage der Fondation
Annette et Alberto Giacometti nach dem Tod von Annette 1993 zu tun
hatte, die sich erst 2003 beruhigte und 2004 ein Committee einsetzte, das
fortan für die Authentifizierung der Werke verantwortlich zeichnete. Die
Provenienz des Gusses, die mit Daniel Pludwinski-Dorian angegeben
wird, hätte aufhören lassen können: es handelt sich um einen polnisch-
italienischen Händler, der durch den regen Handel mit Fälschungen auch
von Mirò und Dalí in die Schlagzeilen als »il pennello imbrogiglione« (in
etwa: der große Betrügerpinsel) geriet. Tatsächlich waren Giacometti-
Skulpturen aus dem Atelier von damaligen Assistenten entwendet – von
Stampa im Engadin nach Italien war der Weg nicht weit – in Italien
abgeformt und neu gegossen worden. Die Gussnummer der Figurine in
Hannover, die als Nr. 5 von 6 Exemplaren bezeichnet ist, ist der
Fondation nicht bekannt. Zudem weist die dickere und weniger spitz
ausgeformte Materialität der Bronzeskulptur auf die Abformung hin. Durch
Kontakt mit Mitgliedern des Committees im letzten Jahr gelang es, die
Fälschung als eine Surmoulage, das heisst, einen Abguss nach einer
Abformung vom Original, zu identifizieren.
Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie
+ Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019
Fälschung / Alberto Giacometti / Borgonovo 1901-1966 Chur / Figurine,
1960/61 / Surmoulage nicht als Werk von Giacometti anerkannt / Bronze /
Sprengel Museum Hannover, © Photo: Seth Widman, 2019
Ein Frauenbildnis aus dem Umkreis Amedeo Modiglianis
Der Frauenkopf, 1917? war bereits als fragliches Werk aus der
Landesgalerie 1979 in die Sammlung des Sprengel Museum Hannover
übernommen worden und hängt seitdem im Depot. Es gibt keinerlei
Unterlagen zu den Gründen dieser Abschreibung und zur Herkunft des
Bildes, das mit dem Konvolut, das 1949 von dem Immobilienhändler und
Juristen Conrad Doebbeke von der Stadt Hannover durch den damaligen
Direktor, Ferdinand Stuttmann, erworben wurde (vergleiche den Text zu
Oskar Kokoschka). Modigliani, unrühmlich als einer der meist gefälschten
Künstler aller Zeiten tituliert, wurde bereits von dem berüchtigten, in
Orson Welles’ Film F for Fake verewigten Fälscher Elmyr de Hory in den
1950er–1970er Jahren gefälscht. (Inzwischen werden de Horys
Fälschungen, die bereits hohe Preise erzielen, gefälscht.) Legendär
waren die drei falschen Steinköpfe, die Studenten in Livorno 1984 in den
Fluss geworfen hatten, nachdem eine Woche zuvor die Suche nach
Skulpturen von Modigliani, die dieser der Legende nach aus Frust
versenkt hatte, ausgerufen worden war. Ein anderer falscher Modigliani
tauchte zu Beginn der 2000er Jahre in Frankreich auf; eine kriminelle
Bande bot ihn als Original an; die Polizei kam ihr dadurch auf die Spur,
dass die rivalisierende Bande ihn mit gefälschten Banknoten bezahlen
wollte. Nicht einfacher ist die Situation durch drei parallel existierende
Werkverzeichnisse, darunter eines von Christian Parisot, der selber
bereits für die Authentifizierung von Fälschungen vor Gericht stand.
Modiglianis Werke erzielen Spitzenpreise, so wurden 2015 170,4 Mio $
bei Christie’s in New York von einem chinesischen Sammler für den Nu
Couché (Liegender Akt) gezahlt; der rasante Anstieg hatte 2010
begonnen, als bei Christie’s in Paris eine Modigliani-Skulptur, die auf 5–7
Mio $ geschätzt war, für 52 Mio $ verkauft wurde. Im letzten Sommer
wurde eine Modigliani-Ausstellung in Genua drei Tage vor ihrem Ende
geschlossen, nachdem diese von mehr als 100.000 Besuchern gesehen
worden war, da Experten darauf hinwiesen, dass von 30 ausgestellten
Werken 21 falsch waren. Gerade hat ein neues Expertenkommittee
begonnen, die Werke Modiglianis in französischen Museumssammlungen
neu zu begutachten.
Fälschung / Amedeo Modigliano (Umkreis) / Livorno 1884-1920 Paris /
Frauenkopf, 1917? / Öl auf Leinwand / Spregel Museum Hannover
Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie
+ Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019
Der Krimi um Giorgio de Chirico
Der spanische Maler Giorgio de Chirico (1888–1978) gehört zu den meist
gefälschten Künstlern des 20. Jahr-hunderts. Besonders beliebt waren
dabei seine Bilder aus der Werkphase der Metaphysischen Malerei, mit
der er die Entwicklung des Surrealismus maßgeblich beeinflusst hatte.
Das Gemälde Interiore metafisico con la Piazza d’Italia, datiert auf 1917,
ist mittlerweile als Fälschung entlarvt worden. Der Kunsthistoriker Dr.
Wieland Schmied, der das Bild 1970 noch selbst in der Orangerie
Herrenhausen ausstellte, räumte in einer Publikation aus dem Jahre 1989
ein, dass er damit unwissentlich und unbeabsichtigt eine Fälschung als
echten de Chirico präsentiert hatte. Recherchen und Expertisen
bestätigten, dass es sich um eine Fälschung handeln muss –
zugeschrieben wird sie dem surrealistischen Maler Óscar Domínguez
(1906–1958). Insgesamt sind heute 32 gefälschte de Chiricos von
Domínguez dokumentiert; drei davon befinden sich in deutschen
Museums-sammlungen; alle drei wurden Mitte der 1950er Jahre über den
Kölner Galeristen Dr. Werner Rusche (gest. 1978) vertrieben, der
wiederum als Provenienz eine Frau Simone Bréton-Corbellini angab.
Doch diese Person gab es nicht, es handelt sich dabei wahrscheinlich um
Simone Bréton-Collinet, die erste Frau des Surrealisten André Breton.
Über die jeweilige Mitschuld der beteiligten Personen am Verkauf der
Fälschungen lässt sich nur spekulieren – dass es überhaupt möglich war,
so viele gefälschte Werke des bedeutenden Künstlers de Chirico im
Umlauf zu bringen, liegt unter anderem an der Eigenart des Meisters
selbst: mit seiner Abkehr von der Metaphysischen Malerei und der
gesamten Avantgardekunst ab ca. 1930 hatte er die junge Generation der
Surrealisten, zu denen Bréton und Domínguez gehörten, gegen sich
aufgebracht. Zudem kopierte de Chirico seine metaphysischen Sujets
selbst und datierte sie teilweise um Jahrzehnte zurück, da sie sich besser
ver-kauften als seine späteren, naturalistischen Arbeiten. Auch sind Fälle
bekannt, in denen der exzentrische Maler seine eigenen Bilder als
Fälschungen deklarierte, andererseits Fälschungen wiederum nicht
erkannte. Dieses Verhalten sorgte für Unsicherheiten und Schwierigkeiten
in der Bestimmung seiner Originale und spielte den Fälschern in die
Hand. Auf jeden Fall wurden alle 20 Gemälde, die 1946 in der Galerie
Allard in Paris ausgestellt waren, unter denen sich auch das Gemälde im
Sprengel Museum Hannover befand, als falsche de Chiricos entlarvt und
es wird behauptet, dass Oscar Domínguez diese Fälschungen unter
Mitwissenschaft von Paul Eluard und André Breton produziert hatte. Auf
einem publizierten Foto von 1940 von Eluards Wohnung in der der Rue
de la Chapelle, ist an der Wand ein von Domínguez gemaltes Bild ›à la de
Chirico‹ zu sehen. Da Eluard selbst mehr als 30 echte de Chiricos besaß,
wußte er zumindest von diesem Täuschungsmanöver, wenn er es nicht
aus freudiger Rache an dem abtrünnigen Surrealisten mit beförderte. Ob
dieses Manöver auch eines war, das deutsche Sammler bewußt täuschen
sollte, und die Gemälde gerade deshalb in den Sammlungen deutscher
Museen landeten, ist noch ungeklärt.
Fälschung / Óskar Domínguez / San Cristóbal de La Laguna 1906-1958
Paris / Giorgio de Chirico / Volos 1888-1978 Rom / Interiore metafisico
con la Piazza d'Italia, 1917? / Öl auf Leinwand / Sprengel Museum
Hannover, Leihgabe Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, ©
Photo: Seth Widman, 2019
Patricia Hartmann / Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE
NEWS / Original + Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover
/ 2019
Ein gefälschtes Stillleben von Max Beckmann
Max Beckmann hat eine unverwechselbare künstlerische Handschrift –
charakterisiert durch eine starke Farbigkeit, kräftige schwarze Konturen
und den besonderen Aufbau seiner Bildräume. Für Fälscher scheint dies
eine einfache Formel zu sein, um die Werken des berühmten
Expressionisten nachzuahmen. Das hier gezeigte Stillleben Blaue Tulpen
in Vase Flasche und Glas, datiert auf 1935, wurde im Jahre 2005 zur
fachmännischen Begutachtung zu einem im Max Beckmann Archiv in
München veranstaltetem »Symposium zur Problematik von Fälschungen
und Kopien von Aquarellen von Max Beckmann« geschickt. Dort
anwesend waren verschiedene Experten für Beckmanns Werk,
Kunsthistoriker und Restauratoren, unter ihnen Beckmanns Enkelin
Mayen Beckmann. Sie alle kamen zu dem Ergebnis, dass es sich bei
diesem Aquarell um eine Fälschung handelt. Als Merkmale, die für dieses
Urteil entscheidend waren, wurden u. a. das Fehlen einer für Beckmann
typischen Unterzeichnung in Bleistift und Kohle, der »unentschlossene«
Umgang mit den schwarzen Konturlinien,die mangelnde Räumlichkeit
und die »schmuddelige« Farbigkeit genannt. Weiterhin wurde der Duktus
der Signatur als für Beckmann untypisch charakterisiert. Eine chemische
Analyse, so wurde festgestellt, würde nicht weiterhelfen, da sich die im
Handel befindlichen Aquarellfarben zwischen den 1930er und 1960er
Jahren kaum verändert haben. Ein weiteres Indiz für die Fälschung ist die
vor den 1960er Jahren mangelnde Provenienz – das Blatt tauchte vor
dieser Zeit in keiner Ausstellung auf, noch wurde es bei Beckmanns
Kunsthändlern Günter Franke, Karl Buchholz, Curt Valentin oder
Catherine Viviano angeboten. Im Vergleich mit einem Originalgemälde
von Beckmann, Stillleben mit schiefer Schnapsflasche und Buddha von
1939, also nicht viel später datiert ist als die Fälschung, lässt sich
erkennen, wie nah der unbekannte Fälscher dem Künstler kommt.
Fälschung / Max Beckmann / Leipzig 1884-1950 New York / Blaue Tulpen
in Vase, Flasche und Glas, 1935 / Aquarell und Gouache auf
Aquarellkarton / Sprengel Museum Hannover
Max Beckmann / Leipzig 1884-1950 New York / Stilleben mit schiefer
Schnapsflasche und Buddha, 1939 / Öl auf Leinwand / Sprengel Museum
Hannover / © Photo: Seth Widman, 2019
Patricia Hartmann, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original +
Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019
Zwei Blätter von Wols: Schlechte Qualität oder Fälschung?
Für die beiden Aquarelle Branches und Souvenir Confus liegen zwei
Expertisen vor, die nicht übereinstimmen. Eines der beiden besagt, dass
es sich »zweifelsfrei« um gefälschte Arbeiten handelt und zu einer
ganzen Gruppe von Fälschungen gehört, die ab 1959 erstmals in einer
Brüsseler Galerie aufgetaucht sind, mit der Wols’ Witwe Gréty vertraglich
verbunden war. Als ein Indiz gilt dem Experten die Führung der Linien: Da
Wols immer mit aufgestützter Hand gearbeitet hat, erkenne man
Fälschungen an ihrem vibrierenden Strich, der fälschlicherweise aus
freier Hand entsteht. Die zweite Expertise hält es durchaus für möglich,
dass die Werke gefälscht worden sind, doch möchte er sich darauf
aufgrund fehlender eindeutiger Beweise nicht festlegen. Gréty Wols soll
erklärt haben, dass ihr verstorbener Mann die Arbeiten im Frühjahr 1951
angefertigt hatte, als er aufgrund seines schlechten gesundheitlichen
Zustandes sehr geschwächt war (er verstarb wenige Monate später).
Dies könnte ein Grund für die »schlechte Qualität« sein, die eben auch an
vielen gesicherten Originalgraphiken von Wols aus dem Jahr erkennbar
sein soll – was die Unterscheidbarkeit zwischen Original und Fälschung
umso schwerer macht. Anhand der beiden »echten« Aquarelle von Wols,
die auf die exakt gleichen Jahre datiert sind wie die fragwürdigen
Arbeiten, lassen sich Unterschiede in der Strichführung ausmachen.
Wols / Berlin 1913-1951 Paris / Ville fantôme, 1951 /
Aquarell und Gouache auf Büten / Sprengel Museum Hannover,
Leihgabe Niedersächsisches Landesmuseum Hannover
Oben rechts: Wols / Berlin 1913-1951 Paris / La ville endormie,
um 1945/46 / Tuschfeder, Aquarell, Deckweiß und Graphit auf
Büten / Sprrengel Museum Hannover Unten links: Fälschung(?) Wols(?) /
Berlin 1913-1951 Paris / Branches, 1946/47 / Tuschfeder und Aquarell
auf Büten / Sprengel Museum Hannover Unten rechts: Fälschung(?)
Wols(?) / Berlin 1913-1951 Paris / Souvenir confus, 1951 / Aquarell,
Feder auf Büten / Sprengel Museum Hannover
© Photo: Seth Widman, 2019
Patricia Hartmann, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original +
Kopie + Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019
Dirk Dietrich Hennig
Projekt: C.G.Rudolf (1922–2012)
Werke: Kurt Schwitters, diverse
Das aktuelle Projekt des Künstlers Dirk Dietrich Hennig ist das Leben von
Carl Gerhardt Rudolf. Rudolf, der von 1922 bis 2012 lebte, war wohl ein
Historiker, der als Hochschullehrer im Dienst der Staatssicherheit der
DDR tätig war. Darauf weist die Aktenlage der Behörden, die allerdings
durch die Vernichtung vieler Akten lückenhaft ist. Überliefert sind
verschiedene Protokolle von Kontaktaufnahmen mit dem Inoffiziellen
Mitarbeiter (IM Rembrandt) sowie Kunstwerke, die Rudolf scheinbar unter
Druck für den Staat zur Beschaffung von Devisen anfertigte. Davon sind
mehrere Skulpturen und Gemälde wie die drei präsentierten Werke nach
Kurt Schwitters erhalten. Als Vorlagen standen dem Autodidakten nur
begrenzte, oft einansichtige Reproduktionen zur Verfügung: so zeigt die
Plastik Vertikal, 1923/2016 auffällige Abweichungen, erkennbar im
Vergleich mit der im Sprengel Museum Hannover vorhandenen
Originalplastik von Kurt Schwitters. Die Spuren von Rudolf verlieren sich
in Venedig. Da er sich das Leben dort offenbar leisten konnte, liegt die
Vermutung nahe, dass er nach dem Fall der Mauer frühere Produktionen
veräußern und so seinen Unterhalt sichern konnte. Rudolf beschäftigte
sich auch theoretisch mit der Frage nach der Aura des Kunstwerks, wie
sie Walter Benjamin beschrieb. Für ihn selbst entstand die Aura zwischen
Werk und Betrachter, in der Projektion des Sehenden und dem Wunsch
nach religiöser Erfüllung im authentischen Kunsterlebnis. Diese
Beschreibung von Rudolf ist reine Erfindung des Künstlers Dirk Dietrich
Hennig, der uns mit seinen Alter Egos und ihren jeweiligen detaillierten,
zeitgemäßen Historien in einen Strudel von Indizien, Täuschungen und
originellen Fälschungen zieht. In dieser Uneindeutigkeit ist deutlich, was
Hennigs Werk tut: es weist auf die stets ambivalente Geschichte eines
jeden Kunstwerks, auf die irrationale Verklärung des Meisterwerks, auf
die fragliche Intention der Urheber. Durch die Brille seiner erfundenen
Künstler transportiert er genauso viel Wissen, wie er es verunklärt. Die
Erfindung des Fälschers lässt die Frage nach dem Autor in die Leere
laufen und begründet eine Reflexion über Geschichte als kritische Masse.
Links: Dirk Dietrich Hennig / Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt Schwitters,
Vertikal, 1923/2016 / Holz, Farbe / Leihgabe des Künstlers
Mitte: Dirk Dietrich Hennig Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt Schwitters,
Weißes Relief, 1924,1927/2016 / Montage, Holz, farbe / Leihgabe des
Künstlers Rechts: Dirk Dietrich Hennig / Carl Gerhardt Rudolf / Werk: Kurt
Schwitters, Merz 1926, Cicero 1926/2016 / Holz, Farbe / Leihgabe des
Künstlers © Photo: Seth Widman, 2019
Carina Plath, aus: Informationsbrochure / FAKE NEWS / Original + Kopie
+ Fälschung + … / Sprengel Museum Hannover / 2019
Weiterführende Literatur
- Hubertus Butin, Kunstfälschung - Das betrügliche Objekt
der Begierde, Suhrkamp 2020
- Guillaume Bijl. Ausst.-Kat. Museum van Hedendaagse Kunst,
Antwerpen u. a. 1996
- Karl Corino (Hg.), Gefälscht! Betrug in Politik, Literatur,
Wissenschaft, Kunst und Musik (1988). Reinbek: Rowohlt 1992
- Hans Delfs, Kokoschkas Selbstbildnisse aus dem Jahr 1923.
Eine Bildmonografie – und Detektivgeschichte. Mit einem Vorwort
von Klaus Gallwitz. Dresden: Sandstein 2015
- Hans und Oskar Kokoschka: Hugh Kenner, Von Pope zu Pop.
Kunst im Zeitalter von Xerox (1968). Dresden, Basel:
Verlag der Kunst 1995
- Anne-Kathrin Reulecke (Hg.), Fälschungen. Zu Autorschaft
und Beweis in Wissenschaft und Künsten. Frankfurt am
Main: Suhrkamp 2006
- Stefan Römer, Künstlerische Strategien des Fake. Kritik von
Original und Fälschung. Köln: DuMont 2001
- Sabine Maria Schmidt, Moderne, reloaded: Interviews mit
Künstlern. Dirk Dietrich Hennig. Geschichtsinterventionen.
Kunstforum International, Bd. 252, (2018), Thema: Moderne,
Reloaded, S. 164ff.
- Hillel Schwartz, The Culture of the Copy. Striking Likenesses,
Unreasonables Facsimiles. New York: Zone 1996
- Ludwig Seyfarth und Oliver Zybok (Hg.), Kunstforum
International, Bd. 213, (2011), Thema: Ironie Sturtevant.
Ausst.-Kat. Württembergischer Kunstverein Stuttgart u. a..
München, Stuttgart: Oktagon 1992
Film
Orson Welles, F for Fake (F wie Fälschung),
1974 – Filmessay zu Fälschungen ausgehend von der Vita des
berühmten Fälschers Elmyr de Hory, der sich in dem Film selber spielt
Museen
Fälschermuseum
Löwengasse 28, A-1030 WIEN
faelschermuseum.com
Pressespiegel:
Fälschungen im Museum "Das passiert jedem mal
27.02.2018 Stefan Koldehoff im Gespräch mit Karin Fischer
Deutschlandfunk
PDF
Gefälschte Kunstwerke: Dieses Museum zeigt
gefälschte Bilder
13.04.2018 Emilie Buri SRF
PDF
Sprengel Museum präsentiert "FAKE NEWS"
aus eigener Sammlung
22.02.2018 dpa
PDF
Ist das echt? Fake News im Sprengel
22.02.2018 NDR
PDF
Die Originalität der Fälschung
20.02.2018 Daniel Alexander Schacht HAZ
PDF
"Fake News" im Sprengel Museum
20.02.2018 Henning Queren NP
PDF
"Fake News" aus der eigenen Sammlung
23.02.2018 DEWEZET
PDF
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